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Beitrag vom 19.01.2019
Womit haben wir das verdient? Ein Film von Eva Spreitzhofer. Kinostart: 24. Januar 2019
Tina Schreck
Eine unterhaltsame Culture-Clash-Komödie, die auf humorvolle Weise die Widersprüche und Grenzen der nach außen hin aufgeschlossenen und vorurteilsfreien "Multi-Kulti"-Gesellschaft aufzeigt.
Die liberal-feministisch erzogene Nina (Chantal Zitzenbacher) ist zum Missfallen ihrer getrennt lebenden Eltern ganz plötzlich und ohne Vorwarnung zum Islam konvertiert. Von nun an heißt sie Fatima, lebt streng halal und trägt voller Stolz ihr senfgelbes Kopftuch zur Schau. Vor allem die überzeugte Atheistin und Feministin Wanda (hervorragend gespielt von der Burg-Schauspielerin Caroline Peters) zeigt sich über den neuen Lebensstil ihrer pubertierenden Tochter entsetzt und fragt sich verzweifelt, was sie nur falsch gemacht hat. Woher nur kommt dieser überraschende Sinneswandel, war sie doch stets bemüht, ihre Kinder als kritische, frei denkende Individuen zu erziehen. Da waren ihr ja sogar das Kiffen und das Komasaufen lieber. Denn obwohl Weltoffenheit für sie bisher immer als eine Selbstverständlichkeit galt, stößt die Patchworkfamilie beim Anblick von Ninas Hijab an die Grenzen ihrer Toleranz.
"Wir sind nicht streng katholisch, wir sind auch nicht gläubig, wir sind nichts von alledem. Wir sind eigentlich ... super", wundert sich Wanda bei ihrem Termin in einer Wiener De-Radikalisierungsstelle. Genau wie Wanda versteht hier auch ein bunt gekleideter Hippie-Vater, der sanftmütig auf seinen aggressiven Neonazi-Sohn einzureden versucht, die Welt nicht mehr. Doch wie sind die identitätssuchenden Jugendlichen/ Teenager wieder zur Vernunft zu bringen? Nachdem alles Bitten, Reden und Schimpfen nichts hilft, versucht es die verzweifelte Wanda mit Verständnis. Für den Schwimmunterricht wird also ein Burkini gekauft, was selbst manch "echter" Muslima zu viel ist. Hanife, die Mutter von Ninas bester Freundin Maryam, kämpft für Frauenrechte im Islam und macht deren Radikal-Religionskur verantwortlich für den neuen Lebensstill ihrer modern und freiheitlich erzogenen Tochter Maryam. In Hanife findet Wanda eine unerwartete Mitstreiterin im Kampf darum, die Töchter wieder auf den "richtigen" Weg zu bringen.
Ist das Kopftuch vertretbar?
"Die wollen uns ausziehen, wir wollen uns anziehen" ist Ninas Meinung zum Kopftuch-Disput. Natürlich sollten Frauen selbst über ihren Körper bestimmen dürfen, aber tun sie dies im Falle des Hijab auch wirklich? Oder dient sie nicht vielmehr als patriarchales Unterdrückungsinstrument, gegen das zu Recht Proteste geführt werden - auch von einem großen Teil der muslimischen Frauen. Die Regisseurin des Films hat dazu eine klare Meinung, wie sie im Interview mit der Online-Kulturzeitschrift Mottingers-Meinung.at verrät: "Wenn man heute eine Religion oder Ideologie erfinden würde, in der Männer mit Handschellen gefesselt durch die Stadt gehen müssten, damit sie nicht mehr "deppert" irgendwohin greifen könnten, würde ich mich auch dagegen verwehren." Es ist ein polarisierendes Thema, dem sich Eva Spreitzhofer in "Womit haben wir das verdient?" widmet. Und vielleicht ist es genau deswegen an der Zeit, die Herangehensweise zu ändern und es an Stelle der gewohnten Vorsicht oder gar Wut einmal mit Humor zu versuchen. Und das gelingt dem Film und seiner hochkarätigen Besetzung par excellence.
AVIVA-Tipp: "Womit haben wir das verdient?" ist ein herrlich bissiges Komödienkino über die doppelmoralische "Islam-Debatte", die mit ihren spitzzüngigen Dialogen punktet. Klug, komisch und zeitgemäß.
Womit haben wir das verdient?
Österreich 2018
Regie: Eva Spreitzhofer
Mit: Caroline Peters, Chantal Zitzenbacher, Simon Schwarz, Emily Cox, Anna Laimanee, Hilde Dalik, Christopher Schärf
Verleih: JIP Film & Verleih
Lauflänge: 92 Minuten
Kinostart: 24.01.2019
Filmwebsite und Trailer: www.womit-haben-wir-das-verdient.de
Facebook: www.facebook.com/WomithabenwirdasverdientimKino?
Zur Regisseurin: Eva Spreitzhofer wurde am 4. März 1967 in Graz geboren. Von 1987 bis 1990 studierte sie Schauspiel an der Schauspielschule am Volkstheater Wien. Seitdem war sie in zahlreichen Filmen, Fernseh- und Theaterproduktionen zu sehen. 2000 gewann sie mit ihrem ersten Drehbuch "Tigermännchen sucht Tigerweibchen" (2003) den Drehbuchwettbewerb des ORF in der Kategorie Bester Fernsehfilm. Darüberhinaus schrieb sie zahlreiche weitere Drehbücher und hat außerdem das Konzept der ORF-TV-Serie "Schnell ermittelt" entwickelt, die in 40 Länder verkauft wurde. 2015 präsentierte sie auf dem Filmfestival "Diagonale" ihren ersten Dokumentarfilm "Unter Blinden: Das extreme Leben des Andy Holzer", bei dem sie sowohl Regie führte als auch das Drehbuch schrieb. Für "Kleine große Stimme" erhielt sie 2016 den Seoul International Drama Award für "Bestes Drehbuch". Seit 2006 ist die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Vorsitzende des Drehbuchverbands Austria und Gründungsmitglied der Akademie des österreichischen Films.
Weitere Infos zu Eva Spreitzhofer unter: www.austrian-directors.com und www.imdb.com
Zur Hauptdarstellerin: Caroline Peters kam am 7. September 1971 in Mainz zur Welt. Schon während ihres letzten Studienjahres an der Hochschule für Musik Saar in Saarbrücken wurde sie von der Theaterregisseurin Andrea Breth an die Berliner Schaubühne berufen. Es folgten Engagements auf allen wichtigen deutschsprachigen Bühnen. Sie spielt an den Schauspielhäusern Hamburg, Köln und Zürich, an der Berliner Volksbühne sowie am Burgtheater in Wien, an dem sie seit 2004 Ensemblemitglied ist. Sie wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Adolf-Grimme-Preis, dem Bayerischen Fernsehpreis und dem Ulrich-Wildgruber-Preis. Sie spielte die Hauptrolle in "Mord mit Aussicht" und wirkte darüberhinaus in vielen Filmen sowie Theaterproduktionen mit.
Weitere Infos zu Caroline Peters unter: www.berliner-ensemble.de und www.imdb.com
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